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Januar

Herrenwäsche

03.02.24 - 03.03.24

Ein Set Herrenwäsche hängt exponiert im Palace am Worringer Platz. Überdimensional groß spannen sich Unterhemd und Herrenslip aus feinster Doppelripp-Baumwolle von der einen zur anderen Seite, entfalten sich wie unachtsam über die Leine gehängt. Sollte man schmutzige Wäsche nicht eigentlich in den eigenen vier Wänden waschen? Bleibt die unterste Schicht doch normalerweise verborgen vor der Öffentlichkeit, ist vor fremden Blicken geschützte Uniform im Privatbereich. Sie bildet die innerste textile Grenze zum bloßen Körper, schmiegt sich wie eine zweite Haut über die erste, bedeckt die nackte Verletzlichkeit. Zum Trocknen erblickt das Feinripp zwar das Licht des Tages, bleibt aber meist hinter geschlossener Schlafzimmertür, in dunklen Kellergewölben und staubigen Dachstühlen versteckt. In der Ausstellung „Herrenwäsche“ von Janis Löhrer dringt die Wäsche jedoch aus intimer Sphäre an die Öffentlichkeit, verbleibt im gläsernen Ausstellungsraum an der permeablen Grenze zwischen Innen und Außen, ruft die Anmutung eines nicht existenten Körpers wach, der sich darunter sonst verbergen könnte.

 

Die ersten Herrenunterhosen dieser Art wurden als Jockey-Slips in den 1930er-Jahren eingeführt, dominieren seitdem gemeinsam mit Boxershorts den Markt, haben sich zum weltweit reproduzierten, maskulinen Klassiker etabliert. Denn der eng geschnittene Slip vermittelt dem Träger ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Er wird zum in Feinripp verpackten Versprechen, gleichermaßen sportlich, funktional mit Eingriff sowie hygienisch weiß zu sein. Schließlich lässt sich bei 60 Grad doch all das rein waschen, was das makellose Bild blütenweißer Wäsche stört. Nicht ganz, denn der Feinrippwäsche haften ganz bestimmte Klischees von Männlichkeit an. So wird das Unterhemd auch „wifebeater“ genannt, mit häuslicher Gewalt assoziiert, der Herrenslip dagegen als „tighty whitey“ mit einem Lächeln quittiert. Ist es aber lächerlich, wenn sich der männliche Körper intim und verletzlich zeigt? Oder ist es nicht vielmehr Zeit für ein neues Bild von Körperlichkeit? Eines, das jenseits von Scham offen umgeht mit der eigenen Imperfektion und Verletzlichkeit? Fragestellungen, die wiederkehrend im medienübergreifenden Werk des 1991 in Aachen geborenen Künstlers verhandelt werden.

 

Am zentralen Verkehrsknotenpunkt Worringer Platz findet sich normalerweise keine Wäsche. Aber warum eigentlich nicht? In manch anderen Ländern gehört die zwischen Häuserfassaden aufgespannte und im Wind flatternde Kleidung gar zum Stadtbild. Sie stört nicht, weil sie ein Signum von Heimat, von ungezwungenem Sein und alltäglicher Häuslichkeit ist. Kommt der enge Kreis aus Freund*innen und Verwandten zu Besuch, muss auch der Wäscheständer nicht zwangsläufig hinter geschlossene Türen weichen. Das nach außen projizierte scheinbar makellose Bild der eigenen Person ist zuhause längst dem echten Ich gewichen. So ist das Aufhängen von Wäsche auch eine Geste der Aneignung. Eine Geste des „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“. „Herrenwäsche“ befördert die intimsten Textilien in den öffentlichen Raum, fordert die Betrachter*innen aller Geschlechter zur Reflexion heraus und prangert unseren schambehafteten Umgang mit dem eigenen Körper an.

 

Der Künstler Janis Löhrer, 1991 in Aachen geboren und in Düsseldorf lebend, ist Gründungsmitglied des AURA Kunstraums Düsseldorf seit 2021. Er absolvierte sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf von 2012 bis 2019. Janis Löhrer zeigte seine Arbeiten in verschiedenen Ausstellungen, darunter in der Kunsthalle Düsseldorf, im Jahr 2022 sowie im K21, Düsseldorf, im Jahr 2021. Weitere Ausstellungen fanden in Elsa Art Space, Bielefeld, in Baustelle Schaustelle, Essen, und in der 77. Internationalen Bergischen Kunstausstellung im Kunstmuseum Solingen statt,

alle im Jahr 2023. Ergänzend nahm er an Ausstellungen im AURA Kunstraum, Düsseldorf teil.

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Künstler: Janis Löhrer

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Text: Julia Stellmann

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Foto: Christian Ahlborn und Johannes Bendzulla

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Plakat: RUNNING WATER

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Die Ausstellung wird gefördert durch:

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