August
Der Sandmann
06.08.23 - 10.09.23
Ein Haus im Haus aus farbigen Acrylplatten fängt nicht nur Licht, sondern auch die Blicke auf dem Worringer Platz, blitzt leuchtend aus dem grauen Alltagstreiben, an einem urbanen Ort der ständigen Unruhe und Bewegung. Erbaut aus einem Material, das bekannt für seine Leuchtkraft ist, die gänzlich ohne Strom auskommt. Ein hölzernes Skelett trägt die leuchtende Außenhaut, die statt aus Wänden vielmehr aus Fenstern besteht. Der gläserne Palace bildet die Bühne für die Architektur im Innern. Für ein Haus, das nicht komplett geschlossen ist, sondern Freiraum lässt, sich Einflüssen von außen gegenüber offen zeigt.
Das Gebilde orientiert sich an der gläsernen Architektur des Palace, ist dem Ausstellungsraum maßstabsgetreu nachempfunden. Ein Haus im Haus also, das doppelt Durchblick gewährt, Zwischenräume entstehen lässt. So wie der Palace selbst, der für unterschiedlichste Künstler*innen ein Zuhause für die Realisation neuer Ideen birgt.
Was ist Heimat? Heimat kann ein Gefühl sein, das physisch Wurzeln schlägt. Ein sicherer Ort, in dem all die alltäglichen Notwendigkeiten stattfinden, der Hort ist für Wärme und Intimität. Heimat können auch Menschen sein, ganz unabhängig von einem physischen Ankerpunkt. Doch immer mehr Menschen verlassen ihre angestammte Heimat, ob aufgrund von Globalisierung oder Migration. Ständig sind sie in Bewegung, ziehen nomadisch von Ort zu Ort. Fern der Heimat suchen sie nach Anschluss, müssen trotz Heimweh Vertrautheit in der Fremde finden.
Zusätzlich bewegen wir uns vermehrt auch in nicht physischen, virtuellen Räumen, die sich je nach Art der Nutzung genauso heimisch anfühlen können. Sie lassen den unmittelbaren Kontakt mit Menschen auf der ganzen Welt zu, überwinden spielerisch früher unüberwindbar scheinende Distanzen. Wie wirkt sich das auf den Heimatbegriff aus? Wenn das Internet Menschen mühelos über Grenzen hinweg verbindet, wird vielleicht auch das Denken grenzenlos? Fragen, welche sich die in Barcelona geborene Künstlerin Íngrid Pons i Miras in ihrem Schaffen wiederkehrend stellt. Nach einem Musikstudium am Conservatori Superior de Música del Liceu in Barcelona zog sie 2012 nach Düsseldorf und schloss 2022 ihr Studium
in der Bühnenbildklasse bei Johannes Schütz und in der Nachfolge bei
Lena Newton als Meisterschülerin ab.
Als Inspirationsquelle diente Pons i Miras E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen „Der Sandmann“ von 1816, das von der ambivalenten Beziehung zwischen Mensch und Automat handelt. Der Hauptfigur Nathanael werden abends Geschichten über den Sandmann erzählt, der nicht einschlafen wollenden Kindern Sand in die Augen streut. Ist das wichtigste Sinnesorgan einmal ausgeschaltet, wird die Wirklichkeit nicht mehr objektiv wahrgenommen, sondern von eigenen Vorstellungen und Angstträumen beherrscht. Feuer und Hitze sind bei Hoffmann das Motiv für den zunehmenden Wahnsinn Nathanaels, werden als Ankündigung einer Veränderung genutzt.
Die Skepsis gegenüber technischen Neuerungen ist in der Gesellschaft tief verankert. Was bei Hoffmann die automatisierte Puppe ist, zeigt sich heute insbesondere anhand der oft auf negative Aspekte fokussierten Diskussion um Künstliche Intelligenz. Vielleicht aber birgt Veränderung je nach Art der Nutzung auch eine Chance? Eine Chance, die Welt neu zu begreifen, Dinge anders wahrzunehmen, mit Menschen in Kontakt zu treten. Wie ein Feuer leuchtet das aus lodernden Wänden erbaute Haus von Pons i Miras. Ein Haus, das nicht vereinsamen lässt, nicht ausgrenzt, sondern in einer Sphäre zwischen physisch und nicht physisch Heimat gibt.
Artist: Íngrid Pons i Miras
Text: Julia Stellmann
Foto: Christian Ahlborn
Plakat: RUNNING WATER
Die Ausstellung wird gefördert durch: