Ein mintgrünes Rechteck auf betongrauem Grund. Mintgrün wie die hohe Säule, die Licht spenden sollte, doch nie in Betrieb genommen dunkel blieb. Mintgrün wie die gläsernen Bänke, auf denen statt Menschen plötzlich Pflanzenkübel ruhen. Mintgrüne Spur eines Gewesenen, wo einst ein Etwas war und plötzlich nichts mehr ist.
Einzig das Rechteck zeigt an, das hier vormals ein Gebäude stand. Ein Pavillon mit gläsernen Wänden und Giebeldach. Noch immer gibt es ein Innen und ein Außen, die Wände waren gläsern und sind nun gänzlich verschwunden. Das Dach des Pavillons ist vom grünen Baldachin der Bäume ersetzt worden. Was bleibt? Nur die sichtbare Leerstelle auf dem Platz. Eine Stelle der Unbestimmtheit. Manchmal tritt jemand ein, verharrt auf der Bodenzeichnung wie auf einer Bühne – für einen kurzen Moment – und verlässt das Rechteck dann wieder. Vorher aber befand sich hier keine leere Stelle, sondern eine Bühne für Kunst. Sie fügte sich temporär in die urbane Umgebung: Ein leuchtendes Haus im Haus, ein übergroßes Feinripp-Unterhemd auf einer Wäscheleine, ein Berg aus Glückskeksen in goldglänzender Verpackung und mehr.
Das Glas gewährte den Blick ins Innere, wo Gedanken, Träume und Hoffnungen eine neue Zuflucht fanden.
War das Glashaus tatsächlich so groß? Oder doch so klein? Der Grundriss wirkt verschoben, ohne es zu sein. Nur noch schwerlich lässt sich einschätzen, wie sich die anderen Gebäude und Gegenstände auf dem Platz in Relation zum Palace verhielten. Eingang, Wände, Abdichtungen aber haben Spuren hinterlassen, die sich gleich archäologischen Ablagerungen lesen lassen. Das umgebende Licht hat sie eingebrannt in den Boden ähnlich diffusen Umrisslinien auf Fotopapier gebannter Geistererscheinungen. Kann etwas anwesend sein und zeitgleich verschwunden? Es fühlt sich an, als könne man den Pavillon zwar nicht mehr mit den Augen betrachten, wohl aber seine Präsenz noch immer wahrnehmen. Ganz so, als würde die Luft an dieser Stelle zu schwingen, zu vibrieren beginnen, als ob sich unsichtbare, elektrische Signale knisternd entladen.
Wenn die Kunst weichen musste, wurde dann auch der Worringer Platz offiziell aufgegeben? Die Menschen rundum sind nicht wie der Pavillon verschwunden, sind noch immer da – nur weniger sichtbar. Hinter Barrieren an eine neue Lagerstätte verschoben, ähnlich dem Glashaus aus dem Blickfeld geräumt. Ließe sich der Worringer Platz als sogenannter „Liminal Space“ beschreiben? Ein liminaler Ort, der als Zwischenraum oder Wartebereich definiert ist. Dabei handelt es sich um Orte, an denen sich Menschen nur temporär aufhalten und die auf dem Weg zum eigentlichen Ziel nahezu unbewusst durchquert werden. In Videospielen oder Filmen dienen sie als Elemente des Grusels, des Unbehagens. So kann das Ungewisse in den dunklen Fluren verlassener Bürogebäude lauern.
Verkehr stockt und fließt dann weiter. Der flüchtige Blick zuckt durch zerkratzte Straßenbahnscheiben, als hätten in Alltäglichkeit gefangene Menschen wie eingesperrte Raubtiere mit scharfen Krallen versucht auszubrechen. Eilig ist der Gang Richtung Bahnhof, um den für heute letzten Zug zu erreichen. Bloß nicht verweilen, die Schritte werden schneller, sobald sie den Platz erreichen. Dazu zieht das Ordnungsamt beständig seine Kreise, fast mutet die Bodenzeichnung an, wie ein Platz zum Abstellen von Fahrzeugen. Der Worringer Platz aber ist nicht für alle ein Liminal space, fühlt sich für manche sogar wie eine Art Heimat an.
Denn wer bestimmt schon, wo Menschen ihre Heimat finden?
In den Bürsten der Kehrmaschine von der Stadtreinigung rotieren letzte Glasscherben. Der Palace war auch ein Zuhause, konnten hier doch neue künstlerische Ideen bis zur Realisation reifen. Gleichsam lagert in schummriger Halle was übrig blieb von den zerbrochenen Scheiben und metallischen Streben. Ließen sich die zergliederten Fragmente des Pavillons wieder zu einem Ganzen zusammenfügen? In archäologischer Praxis könnten wie in „Bonebeds“ versunkene Fossilien zunächst freigelegt und anschließend zwecks Bestandsaufnahme genutzt werden. Vielleicht ließen sich sogar neue Erkenntnisse gewinnen? Bruchstücke mit wie in Bernstein eingeschlossenen Erinnerungen. So könnte Stück für Stück in diffiziler Arbeit etwas Neues entstehen, ließe sich das Ausstellungshaus zur gläsernen Skulptur umfunktionieren… Die Risse aber bleiben.
Text: Julia Stellmann